Kölner Kammerorchester

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Date: 03.04.2018

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Der natürliche Fluss der Musik

KLASSIK Passionskonzerte mit Gürzenich-Orchester unter Collon und Kölner Kammerorchester unter Poppen

Nach der Johannespassion im vergangenen Jahr wäre das Gürzenich-Orchester in der diesjährigen Karwoche eigentlich mit der Matthäuspassion "dran" gewesen. Die Aussetzung des starren Alternierens im Jahreswechsel, die auch schon Markus Stenz als Gürzenich-Kapellmeister praktiziert hatte, führte dazu, dass - an sich sehr willkommen - eine zeitlich benachbarte Doppelproduktion des monumentalen Werks in der Philharmonie vermieden wurde. So blieb die Kölner Matthäuspassion am Karsamstag dem Kölner Kammerorchester und Christoph Poppen vorbehalten, während das Gürzenich-Orchester unter Nicholas Collon am Karfreitag ein Passionskonzert sehr eigener Art und Zusammenstellung offerierte.

Programmatischer Leitfaden waren hier die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz, die durch die einschlägigen Kompositionen von Joesph Haydn und des britischen Zeitgenossen James McMillan repräsentiert wurden. Um sie rankten sich passende Werke von Bach und des italienischen Barockmeisters Antonio Lotti. Der Eindruck einer kleinteiligen Stückelung wurde durch die thematische Zentrierung gemildert, allerdings nicht vollends neutralisiert.

Ungleich schwerer wiegt das Unbehagen darüber, wie schlecht das Gürzenich-Orchester mit der ungewohnten Agenda aus Barock und Frühklassik zurechtkam. Die beklagenswert dürftige tonliche Performance der ersten Geigen in Haydns Satz "Sitio" (Mich dürstet) konnte da nur als äußerliches Symptom einer bedenklichen Metierferne gedeutet werden. Hier müsste dringlich nachgebessert werden. Alles andere als stilsicher präsentierte sich auch der weithin gefeierte Counter Bejun Metha in der Bach-Kantate "Widerstehe doch der Sünde" und der "Es ist vollbracht"-Arie aus der Johannespassion. Herausreißen musste es das hervorragende ChorWerk Ruhr, das auch ganz wesentlich dazu beitrug, dass die zweite Hälfte des Konzerts besser ausfiel als die erste. Über die Qualität von MacMillans Musik kann man streiten - sie bietet gut konsumierbare Neoklassik mit starken Traditionsbezügen und hohen Wellness-Koefizienten. Aber sie bleibt zumal dann nicht wirkungslos, wenn die Ausführenden - wie hier geschehen - mit vernehmlichen Nachdruck und Gestaltungswillen bei der Sache sind.

Auf Ganze gesehen deutlich besser geriet die Mattäuspassion am Folgetag. Nun ist Poppen - jedenfalls bei Bach - offenkundig kein Dirigent, der zu einer prononcierten Profilbildung neigt. Durch die Bank - vor allem aber in den Chorälen - wäre etwas mehr sprachgezeugte Schärfung des Ausdrucks nicht schlecht gewesen. Überhaupt wurden wichtige klangrednerische Details tendenziell neutralisierend unterspielt. Auf der anderen Seite ergab sich ein quasi-natürlicher Fluss der Musik, ein lebendiger Puls bei entspannten Tempi - ohne pseudotheatrale Aufmotzung.

Tragende Säule der Darbietung waren die Kräfte des Kölner Dommusik-Vokalensemble und Domchor-Knaben - die mit bemerkenswerter technischer Souveränität, Homogenität und Klangschönheit zu Werke gingen. Und bei etlichen Turbae auch zu angemessener Hitze fanden. Dass einige hohe A's angezurrt und mehr herausgeschleudert als in die Linie eingebunden kamen - die Hörer in der nahezu ausverkauften Philharmonie konnten es verschmerzen. Unter den Vokalsolisten hinterließ wohl der - für den erkrankten Marcus Ullmann eingesprungene - Lothar Odinius als Evangelist ob seiner sehr beweglichen und den Bibelbericht genau differenzierenden Darstellung den besten Eindruck. Überzeugend agierten auch die Bassisten Benjamin Appl als Jesus und Ludwig Mittelhammer (Arien, Petrus, Judas, Pilatus) sowie der Tenor Stuart Jackson, während die Altistin Marie Henriette Reinhold bis in die zweite Hälfte brauchte, um den angemessenen Ton zu finden - die schöne, für die Lage eher hell timbrierte Stimme kam erst allmählich aus der Anmutung flacher Minderbeteiligung heraus. Gar nicht schaffte dies leider die Sopranistin Elisabeth Breuer, deren kindliche Piepsigkeit gerade in diesem Werk fehl am Platz ist. Weithin erfreulich agierte das Kölner Kammerorchester. Die Oberkante des insgesamt guten Spielniveaus bezeichneten die Bläsersolisten, während sich die Geigensoli eher an der Unterkante bewegten.

(Markus Schwering) Kölner Stadt-Anzeiger vom 3. April 2018